GULDA asks... Paul Gulda
Paul Gulda ist leidenschaftlicher Pianist und Lehrender an der Friedrich Gulda School of Music. In unserem großen Interview sprachen wir mit dem Sohn des Namensgebers unserer Institution über seinen Unterricht, Talente, seine eigenen Vorbilder und prägende Momente aus seiner beeindruckenden Laufbahn in der Welt der klassischen Musik.
Was macht die Gulda School of Music in deinen Augen so besonders gegenüber anderen Musikschulen?
Also die Schule, allein schon wegen ihres Namens, postuliert eine ganz besondere Offenheit zu Improvisation und allen möglichen und zeitgenössischen Musikrichtungen. Und dadurch, dass sie mit der JAM MUSIC LAB sehr eng verbunden ist, gilt es auch administrativ im Studiengang selbst die Improvisation praktisch umzusetzen.
Wie sieht für dich der Alltag als Unterrichtender an unserer Schule aus?
Zum Besten aller Studenten bemühe ich mich um regelmäßiges Einhalten, immer am selben Tag und zur selben Uhrzeit, weil das die Abläufe einfacher macht. Es ist tatsächlich eine Eigenschaft von mir, ausführlich zu sein und etwas sehr gerne gründlich zu besprechen. Das bedingt manchmal, dass Stunden auch mal länger dauern. Ansonsten haben die Stunden für sich keine gleichbleibende Struktur oder Schematisches, sondern sind offen gestaltet. Es kann durchaus auch sein, dass mit einem Gespräch begonnen wird und zum Beispiel ein Plan für die Zukunft besprochen wird. Es ist auch schon vorgekommen, dass bei einer Stunde nur gesprochen worden ist.
Was ist deine Meinung zu Talent? Kann harte Arbeit Talent ersetzen oder braucht es deiner Meinung nach das gewisse Etwas, um erfolgreich zu sein?
Menschen sind so verschieden. Es gibt die bekannte Fabel von La Fontaine vom Hasen und der Schildkröte, die beide ein Wettrennen machen. Der Hase denkt sich, „Das ist ja lächerlich. Ich mache dazwischen eine Pause und gehe auf ein Bier oder trinke einen Kaffee und warte ab.“ Es kommt, wie es kommen muss und der Hase verzettelt sich, die Schildkröte bewegt sich stetig und gewinnt schließlich das Rennen. Auf einem Talent kann man sich ausruhen und sich denken, es geht alles mit der Begabung. Das hat aber kein Fundament. Musik ist ein Projekt über Jahre hinweg. Manche Dinge entscheiden sich später. Ich möchte nicht sagen, dass auf jemanden urplötzlich ein Talent herunterfällt, das er nicht hatte, wenn er 30 oder 35 Jahre alt ist. Harte Arbeit führt unter Umständen nicht nur dazu, dass man etwas mühsam erarbeitet hat, sondern auch in eine Freiheit hineinwächst, die aussieht, wie Talent. Das wiederum ist eine andere Form von Talent. Es gibt dann wieder andere, die sind so unglaublich talentiert, dass sie sich auf die eigenen Schuhbänder steigen. Sie wollen besser sein, als sie ohnehin schon sind. Und schon liegen sie in der Grube und machen gar nichts mehr, weil sie nicht gut genug für ihreneigenen Anspruch sind. Da habe ich auch einen bestimmten Schüler von mir im Sinn.
Wie kann die Gulda School of Music dazu beitragen, (verborgene) Talente zu entdecken oder zu unterstützen?
Ich vertraue darauf, dass meine Kollegen und ich versuchen das zu tun, was für ihren Beruf essenziell ist. Nämlich die ihnen anvertrauten Menschen dort abholen, wo sie stehen und ihnen das Bestmögliche zu bieten. Und nein, aus einem Hasen kann man keine Schildkröte machen oder auch umgekehrt. Sie sind schon so auf die Welt gekommen. Aber man kann die Tugenden des Einzelnen ergänzen und ihnen (den Schülern) sagen: „Schau‘, das hast du und baue darauf auf, vielleicht kannst du ja noch dieses oder jenes noch mit hineinnehmen.“ So kann man den Unterricht aufbauen und gestalten. Wir haben eine große musikalische Breite bei uns an der Gulda School. Wir haben Lernende, die wo anders nicht hingepasst haben und doch sind sie bei uns absolut richtig aufgehoben. Die staatlichen Institutionen müssen einen Erfolgsnachweis bringen. Das Selbstverständnis besteht darin, dass ein Abschluss eine Befähigung zur Berufsausübung mit sich bringt. Für Amateure ist auf staatlichen Institutionen kein Platz. Bei uns haben aber genau Diejenigen auch Platz, die (noch) nicht wissen, ob sie wirklich den Beruf Musiker wollen. Trotzdem: Wir sind uns einig. Ein Lehrgang bei uns ist ergiebiger als Social-Media-Scrollen. Die Zeit bei uns ist gut investiert.
Wie korrelieren deiner Meinung nach die Begriffe fördern und fordern?
Diese Begriffe sind miteinander verwandt. Wenn ich die Liste meiner Studenten durchgehe, merke ich, dass ich das genauso mache. Also fördern und fordern. Wir Pädagogen wünschen uns, dass wir zu 90 Prozent fördern und zu 10 Prozent fordern können. Fordern setzt ein, wenn man jemanden zu etwas bewegt. Also über eine vermeintliche Grenze zu gehen.
Du hast selbst eine sehr ereignisreiche Laufbahn hinter dir. Was für Höhepunkte davon kommen dir da sofort in den Sinn?
Ich habe eine Vielzahl an Konzerten mit bedeutenden Musikern gespielt. Mir fällt jetzt gerade ein Moment ein, als ich im Gewandhaus in Leipzig war. Dort probte Kurt Masur den Orchesterpart von Beethovens 2. Klavierkonzert, zunächst also noch ohne Solist. Ich habe das mitbekommen und mich leise an ein Pult ganz hinten gesetzt. Als er so dirigiert, bemerkt er mich plötzlich, wie ich ohne Geige da drinsitze. Er fragte: „Was machen Sie denn hier drinnen schon?“ Ich darauf: „Naja, das Stück interessiert mich.“ Da kannten wir uns noch gar nicht und das Eis war gebrochen. Die Aufführung später war richtig beeindruckend. Wir alle wollten etwas gestalten. All das geschah ganz knapp nach der Wende. Mir fallen auch Momente ein, die einfach herausragend sind. Die Schönheit der Musik rührte mich beim Spielen des Konzerts da sogar zu Tränen. Einmal bei Brahms, einmal bei Liszt. Es ist sehr beruhigend daran zu denken, dass dich Musik so berühren kann, auch wenn man ein Profi ist.
Bei all den vielen Menschen, mit denen du Musik gemacht hast, von denen du gelernt hast, gibt es deiner Meinung nach noch ein Vorbild musikalisch auf den du aufschaust? Wenn ja, wen und warum?
Ohne Martha Argerich geht gar nichts. Da schaut man mit Faszination hin. Wer mit jenseits 80 noch immer so in der Musik aufgeht, so viel Freude hat und topfit ist, fasziniert mich. Diese Art in sich zu ruhen und aus dieser Ruhe eine Kraft zu generieren. Ich bin auch sehr dankbar, dass ich Oscar Peterson live sehen konnte. Das war umwerfend. Das war erfüllend, wie ein Mensch mit seiner Präsenz einen Raum so ausfüllen konnte. Oder Leonard Bernstein, den ich auch persönlich kennenlernen durfte. Er war ein Charmeur und Verführer. Sehr einnehmend, aber natürlich positiv gemeint. Es kommen aber auch immer neue Leute nach.
Alle Bilder: (c) Clarissa Sopper